Deutsche Solarindustrie: Es gibt Leben in der Nische

Startseite Mit der Pleite des letzten großen Solarmodulherstellers Solarworld scheint Deutschland eine ganze Technologie verloren zu gehen. Doch abseits stillgelegter Gigawattfabriken blühen einige Spezialisten wieder auf.

„Die Bundesregierung hat allem Anschein nach die Forschung, Entwicklung und Produktion von Solarzellen in Deutschland aufgegeben“, klagte Solarworld Insolvenzverwalter Christoph Niering Mitte Juli auf einer Gläubigerversammlung in Bonn. Er will den defizitären Geschäftsbetrieb spätestens Ende September einstellen, falls sich bis dahin kein Investor findet. Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gläubiger stimmten Niering notgedrungen zu. Solarmodulfabriken, deren Jahresleistung über einem Gigawatt liegen, gibt es heute in China, aber nicht mehr in Deutschland. Ein Kapitel der neueren deutschen Wirtschaftsgeschichte ist beendet.

Um so überraschender wirkt die Ankündigung des österreichischen Unternehmens Energetica, noch in diesem Jahr mit der Produktion von Solarmodulen zu beginnen. Dazu errichtet Energetica eine neue Solarfabrik der Gigawatt-Klasse. Das Klagenfurter Unternehmen werde „die leistungsstärksten, schönsten, nachhaltigsten und intelligentesten Solarmodule der Welt produzieren“, verspricht Unternehmensgründer Rene Battistutti. „Und dies zu Preisen, wo wir mit asiatischen Herstellern in den globalen Wettbewerb treten können.“

Dramatische Jahre erlebt

Nachfragen beim Bundesverband Solarwirtschaft in Berlin ergeben, dass es auch in Deutschland durchaus noch Solarmodulhersteller gibt, vor allem im Osten des Landes. Dabei handelt es sich um Unternehmen wie Aleo Solar in Prenzlau, Heckert Solar in Chemnitz, Solarwatt in Dresden, Astronergy in Frankfurt (Oder) und CS Wismar. Die meisten haben dramatische Jahre hinter sich und oft nur mithilfe neuer Eigentümer die Krise der deutschen Solarindustrie überlebt. So gehört Astronergy zur chinesischen Technologiegruppe Chint, Aleo Solar zu einem Konsortium asiatischer Investoren, und bei Solarwatt heißt es auf Nachfrage: „Wir haben mit Stefan Quandt einen Investor an Bord, der nicht nur auf kurzfristigen, sondern auch auf einen langfristigen, nachhaltigen Erfolg der Solarwatt GmbH setzt.“  Quandt ist Milliardär und BMW-Großaktionär.

Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der vergleichsweise kleinen deutschen Modulbauer ist gering. Beim Bundesverband Solarwirtschaft kennt man zwar die Namen der Verbliebenen, doch sammelt niemand mehr Daten wie beispielsweise die Gesamtzahl der Mitarbeiter, den Jahresumsatz oder die Höhe der Investitionen. Die Windenergiebranche führt das Schicksal der Solartechnikhersteller bereits als abschreckendes Beispiel dafür an, was ihr droht, wenn die Ausbaudeckel für Windparks in Deutschland nicht angehoben werden. Der Präsident des Bundesverbands Windenergie, Hermann Albers, gedenkt regelmäßig der einst über 100.000 Jobs in der Solarwirtschaft, um Politiker für die Forderungen der kriselnden Hersteller von Windkraftanlagen zu öffnen. (Lesen Sie auch: Anlagenbauer leiden, aber die Servicebranche boomt)

Wachsende Zielgruppe: Privathaushalte

Doch wie überleben die Totgesagten? Detlef Neuhaus, der Chef von Solarwatt, sagt hierzu im Gespräch mit dem Magazin bizz energy: „Wir setzen ganz bewusst auf Privathaushalte und Gewerbebetriebe, die sich selbst mit PV-Strom versorgen wollen.“ Dieses Segment wachse und habe eine große Zukunft. „Der ruinöse Massenmarkt für Großprojekte interessiert uns dagegen nicht.“ Die Solarmodule von Solarwatt seien wegen ihrer folienlosen Glas-Glas-Technologie besonders alterungsbeständig, was privaten Hausbesitzern sehr wichtig sei, heißt es bei Solarwatt. Das Dresdner Unternehmen bietet eine Bandbreite von Komponenten bis hin zu Heimbatterien für den Sonnenstrom. Neuhaus verweist darauf, dass in Eichwalde bei Berlin gerade der 100.000 Stromspeicher Deutschlands von Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß eingeweiht wurde – das Gerät ist ein Produkt von Solarwatt. (Lesen Sie auch: Speicherhersteller Solarwatt will Marktführer werden)

Das Unternehmen scheint in seiner Nische zu gesunden: Nach einem Umsatz von 325 Millionen Euro im Jahr 2010 erlebte es bis 2013 einen dramatischen Niedergang hinunter auf 31 Millionen Euro. Inzwischen ist der Umsatz wieder auf 70 Millionen Euro geklettert. Solarwatt beschäftigt 350 Mitarbeiter.

Bloße Fertigung reicht nicht

Doch mit der bloßen Fertigung von Solarmodulen kann in Deutschland offensichtlich kaum Geld verdient werden. Auch die anderen Produzenten haben sich auf bestimmte Nischen spezialisiert und forcieren ihr System- und Servicegeschäft. Die zu CS Wismar gehörende Sonnenstromfabrik etwa wirbt mit Modulen, bei deren Produktion weniger CO2 entsteht. Heckert Solar bietet seinen Kunden die gesamte Systemtechnik vom Kabel über den Wechselrichter bis zum Gestell an. Aleo Solar versucht, mit besonders umfangreichen Garantien zu punkten.

Doch wie sicher sind die Nischen, in der die verbliebenen deutschen Solarmodulbauer wirtschaften? Solarwatt-Chef Neuhaus äußert sich dazu nur vorsichtig. Jeder Modulhersteller müsse letztlich seine eigenen Entscheidungen treffen und verantworten. Mit Blick auf die Politik zieht sich Neuhaus gar auf Minimalforderungen zurück. Er sagt, ihm gehe es nicht um finanzielle Förderung, sondern schlicht darum, „dass dieser zukunftsträchtigen Art der Energieerzeugung keine Steine in den Weg gelegt werden“.

Quelle: bizz energy, 30.08.2018
bizz-energy.com

vgl. Photovoltaik stabilisiert derzeit Stromerzeugung

s. Solarstrom-Nachfrage 50 Prozent über Vorjahr

auch Vom Dach ins Auto: Solarenergie fürs E-Mobil spart Geld und schont das Klima

s. Vermarktung 749 kWp Solarparks

mehr Realisierungsrate der fünften Ausschreibungsrunde für PV-Freiflächenanlagen

vgl. Windenergieausbau nicht ersticken – Privilegierung von Windenergieanlagen im Planungsrecht wichtig für Klimaschutz und Strukturwandel