Energiewende in Niedersachsen: Wie weiter nach der Wahl?

top agrarDie Energiewende in Niedersachsen steht vor einem möglichen Umbruch. Denn in dem norddeutschen Bundesland wird drei Monate früher als geplant ein neuer Landtag gewählt. Grund für die Neuwahl ist der geplante Wechsel der bisherigen Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU, mit dem die rot-grüne Regierung ihre Einstimmenmehrheit verliert. Darum hat Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) auf die Neuwahl gedrängt, die jetzt am 15. Oktober stattfinden wird.

Mit der Neuwahl könnte es auch eine Änderung der bisherigen Energiepolitik geben. Das zeigen zumindest die Aussagen von Teilnehmern einer Podiumsdiskussion während der Tarmstedter Ausstellung. Zu verschiedenen Fragen der Energiewende nahmen dazu Stellung:

  • Renate Geuter, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD und Mitglied des Agrarausschusses (Landkreis Cloppenburg),
  • Martin Bäumer MdL, umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion (Osnabrück),
  • Dr. Julia Verlinden, Sprecherin für Energiepolitik der grünen Bundestagsfraktion und Abgeordnete für den Wahlkreis Lüchow-Dannenberg – Lüneburg.
  • Hermann Grupe, agrarpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion und Kreislandwirt im Kreis Holzminden,
  • Michael Braedt, Geschäftsführer der Partei DIE Linke in Niedersachsen (Langenhagen).

Frage: Bis 2050 will sich Niedersachsen komplett aus erneuerbare Energien versorgen. Wie sehen Sie den aktuellen Stand der Energiewende in Niedersachsen?

Geuter (SPD): „Niedersachsen ist Vorreiter in Deutschland bei der Windenergie an Land, auch bei der Bioenergie sind wir vorn. Wir wollen diese Schritte weiter gehen, müssen aber auch für Akzeptanz bei den Bürger und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sorgen. Zudem dürfen wir den Flächenverbrauch nicht aus dem Auge verlieren. Es darf keine Flächenkonkurrenz zur Erzeugung von Lebensmittel und Futtermittel geben.“

Bäumer (CDU): „Wir sind der Überzeugung, dass es zur Energiewende keine Alternative gibt. Viele Bürger empfinden aber Windenergieanlagen als störend. Solange wir keine verlässlichen Speicher haben, werden wir den Menschen nicht erklären können, warum die Windkraft mehr ausgebaut werden muss, wenn man den Strom noch gar nicht braucht. Auch müssen wir den Bürgern erklären, warum sie Stromleitungen nach Süddeutschland ertragen sollen, damit der hier erzeugte Windstrom dorthin transportiert wird.“

Verlinden (Grüne): „Wir sind in Niedersachsen relativ gut aufgestellt, was die Energiewende angeht. Das ist den Rahmenbedingungen der Politik zu verdanken, aber vor allem den Bürgern und den Landwirten, die Biogasanlagen errichtet oder Flächen für Windenergieanlagen verpachtet haben. Damit der erneuerbare Strom besser genutzt wird, müssen die konkurrierenden, fossilen Kraftwerke abgeschaltet werden. Als großen Nachteil sehen wir die Einstufung des nördlichen Niedersachsens als Netzausbaugebiet, was die Energiewende unnötig abbremst.“

Grupe (FDP): „Wir treten ein für einen breiten Energiemix. Die Energiewende soll bezahlbar bleiben für die Menschen. Wir haben heute schon sehr hohe Kosten durch das EEG. Das Geld sollte man vernünftig ausgeben. Die Netze müssen ausgebaut werden, ohne dass die Bauern mit Einmalzahlungen abgespeist werden. Auch darf man Investoren wie die Landwirte, die Biogasanlagen gebaut haben, jetzt nicht im Regen stehen lassen. Wir setzen uns daher für faire Anschlussregelungen ein. Es wäre ein Fiasko, wenn man die teuer erstellten Anlagen nach 20 Jahren nicht weiter nutzen würde.“

Braedt (Linke): „Die Ziele der Landesregierung sind schwammig. Die Energiewende soll sozialverträglich sein, andererseits werden immer noch viele große Firmen mit der Befreiung von der EEG-Umlage bevorzugt.“

Frage: Welches Potenzial hat die Windenergie in Niedersachsen? 

Geuter (SPD): „Wir haben in Niedersachsen beim Ausbau der Energie sehr unterschiedliche Ausgangslagen in den Landkreisen. Wir müssen die Akzeptanz verbessern, in dem wir die Menschen teilhaben lassen. Bürgerwindparks sind daher zielführend. Wir haben uns massiv gegen den Ausbaudeckel der Windenergie gewährt, der durch das Netzausbaugebiet entstanden ist.“

Bäumer (CDU): „Wir haben noch gewaltiges Potenzial für die Windenergie, das auf zwei Säulen ruht: Einem Ausbau dort, wo bislang noch nicht so viele Windräder stehen, und das Repowering von älteren Anlagen. Die Akzeptanz erreichen wir über Beteiligungsmodelle und vernünftige Abstände.“

Verlinden (Grüne):  „In Niedersachsen können wir ca. 2 % der Landesfläche für Windenergie nutzen, um das Ziel 100% erneuerbare Energien zu erreichen und die Pariser Klimaschutzvereinbarungen zu erfüllen. Wir haben nicht viele Optionen, um auf die Windenergie zu verzichten. Die Zahl von 2 % der Landesfläche relativiert sich, wenn man sich den Flächenverbrauch für Siedlungen und Straßen ansieht: In Niedersachsen sind heute bereits 5 % der Landesfläche versiegelt.“

Grupe (FDP): „Die Windräder müssen da stehen, wo sie viel Ertrag bringen, also verstärkt an der Küste oder auf See (Offshore). In meiner Heimatregion Weserbergland gibt es viele Vogel- und Naturschutzgebiete, da will niemand Windräder. Das Problem der Windenergie ist, dass sie nicht grundlastfähig ist.“

Braedt (Linke): „Die Windenergie in Niedersachsen ist nicht gleich verteilt. Wir haben die meisten Anlagen an der Küste. Wenn Wind und Sonne dezentral ausgebaut würde, könnte man die Pläne für neue Stromleitungen drastisch reduzieren.“

Frage: Sind feste Abstandsregelungen zu Wohnbebauung wie bei der 10 H-Regelung in Bayern sinnvoll, die einen Abstand von der zehnfachen Höhe eines Windrades vorschreibt?

Geuter (SPD): „Eine 10 H-Regelung für Niedersachsen würde bedeuten, dass der Ausbau der Windenergie vollkommen zum Erliegen kommt. Das können und wollen wir nicht. Daher ist eine starre Regelung nicht sinnvoll. Jede Region braucht eine Windenergie-Potenzialstudie. Der Windenergie-Erlass in Niedersachsen gibt gute Regelungen an die Hand, um den Windenergie-Ausbau dort vorantreiben, wo es noch möglich ist. Mit einer guten regionale Raumplanung können wir verhindern, dass einzelne Gemeinden einen Windpark auf die Gemeindegrenze setzen.“

Bäumer (CDU): „im Wahlprogramm der CDU haben wir darauf verzichtet, Aussagen zu Abständen zu machen. 1000 m ist eine gute Richtschnur, die Anlagen werden immer höher, aber man muss die Abstände z.B. auch davon abhängig machen, ob die Anlage im Osten öder Westen des Dorfes steht.“

Verlinden (Grüne): „Statt fester Abstände haben sich regionale Raumordnungspläne vor Ort bewährt. Die Menschen vor Ort sollten darüber diskutieren, wieviel von welcher erneuerbare Energien-Form sie wollen. Gut ist das Siegel ‚faire Windenergie‘ in Thüringen, bei der sich Projektierer u.a. verpflichten, das Umfeld der Windparks bei der Planung transparent einzubeziehen. Ein Vorgehen wie mit dem Beteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern lehnen wir ab, weil das zu höheren Kosten führt und die Projektierer Nachteile beim bundesweiten Ausschreibungsverfahren haben.“

Grupe (FDP): „Die 10 H-Abstandsregelung wie in Bayern schwebt auch uns vor.  Wenn man sich regional auf andere Werte einigt, ist das auch in Ordnung, aber wir wollen die Menschen davor schützen, dass sie mit Schlagschatten leben müssen. Wir sollten stattdessen auf Offshore-Windenergie und Stromleitungen als Energieautobahnen setzen.“

Braedt (Linke): „Wir sind gegen feste Abstände. Die Kommunen können genau festlegen, wo Windenergieanlagen hinkommen. Wir setzen uns für kommunale und genossenschaftliche Windparks ein, bei denen die Akzeptanz höher ist, als wenn ein auswärtiger Investor einen Windpark baut.“

Frage: Wie bleiben erneuerbare Energien künftig bezahlbar? 

Geuter (SPD): „Wichtig ist, dass die erneuerbare Energien in Markt integriert werden. Es ist aber zweifelhaft, ob das Ausschreibungsverfahren dafür richtig konzipiert ist. Ein Problem der Bezahlbarkeit ist die Ausgestaltung der EEG-Umlage.  Große Firmen können sich leichter von der EEG-Umlage befreien lassen, wenn sie das eigene Personal durch Leiharbeiter ersetzen. Denn dann ist das Verhältnis der Stromkosten zu den Personalkosten günstiger, was die Befreiung begünstigt. Solche Fehlanreize darf es nicht mehr geben.“

Bäumer (CDU): „Wir müssen darauf achten, dass Unternehmen aus Niedersachsen, die im internationalen Wettbewerb stehen, nicht wegen des Strompreises abwandern.“

Verlinden (Grüne): „Bezahlbarkeit ist uns auch wichtig. Die EEG-Umlage ist ungerecht verteilt. Große Unternehmen zahlen besonders wenig für den Strom. Wir Bürger subventionieren das mit einem höheren Strompreis.“

Grupe (FDP): „Energie wird für die Menschen zunehmend sehr teuer. Weil Strom im Überfluss vorhanden ist, ist es die Aufgabe der Politik, diese Energie vernünftig und intelligent zu den Haushalten und der Industrie zu bringen. Wir können keinen ungehemmten Ausbau der Windenergie fordern, sondern brauchen einen guten Mix, um die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen.“

Braedt (Linke): „In den letzten 30 Jahren sind Milliarden Subventionen für Atomkraftwerke ausgegeben worden. Das Geld könnten Genossenschaften eine bestimmte Zeit erhalten.“
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Quelle: www.topagrar.com, 10.08.2017

vgl. DIE POLITIK DER ENERGIEWENDE – WIE DIE NEUEN LANDESREGIERUNGEN IN NORDRHEIN-WESTFALEN UND SCHLESWIG-HOLSTEIN DIE WINDINDUSTRIE BEEINFLUSSEN

s. Antworten der Parteien auf die energiepolitischen Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2017

vgl. Emnid-Umfrage: Mehrheit der Bürger in NRW für beschleunigte Energiewende

mehr Energiewende oder Energiewendeende?